Text von Andrea Stoll
zur Ausstellung don't leave home im Juli 2017
Die Künstlerin verfolgt auf der Suche nach neuen Formen der Malerei und zeitgenössischen Ausprägungen von Identität ihre Themen über einen längeren Zeitraum und arbeitet stets in Werkreihen wie XY_wir, [made in] oder family affairs.
In den Serien XY_wir und familiy affairs untersuchte Magdalena Waller malerisch die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Bruder bzw. zwischen ihr und ihrer gedachten männlichen Version. Durch Verdoppelung und Aufspaltung des klassischen Selbstporträts bilden sich überlappende Identitäten heraus und heben dadurch die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich auf.
Der Frage nach kultureller Identität ging die Künstlerin in ihrem Werkkomplex [made in] nach, in dem sie eine Reihe von Kleidungsstücken sowie Menschen beim Herstellen von Kleidung zeigte. Zu dieser Serie war sie durch die Berichte über die unmenschlichen Zustände in der Textilfertigungsindustrie in Bangladesch angeregt worden.
In den in der aktuellen Ausstellung don’t leave home gezeigten Arbeiten untersucht Magdalena Waller in einer Serie von Bildern, Papierarbeiten sowie einer Installation das Haus als archaisches Symbol der Identität, als den Ort, der - insbesondere in einer Welt voller Konflikte und Erschütterungen, in der der Humanismus gefährdet ist - Schutz bietet. Sie setzt sich mit dem Haus in seiner Funktion als den Menschen umgebende Hülle auseinander, die sie als dritte Haut bezeichnet.
Als dritte Haut erweitert das Haus ihre vorangegangenen Serien: der Porträts als erste Haut, der Kleider als zweiter Haut und eben das Haus als dritte Haut, denn das Haus besteht zum einen aus einer materiellen Hülle, aber auch aus einem immateriellen Netz von Zuschreibungen. Im Inneren des Hauses haben sich die Lebenswirklichkeiten und Erinnerungen der Bewohner eingeschrieben und an den Außenwänden hat die Geschichte ihre Spuren hinterlassen.
Für die Künstlerin die bereits über 40 Länder bereist hat, darunter 2008 Syrien noch zu Friedenszeiten, markiert die Arbeit before war, after peace den Beginn der neuen Werkreihe. In diesem Bild stellt sie eines der berühmten Stadthäuser in Aleppo in zwei Zuständen dar: vor dem Krieg und nach dem Frieden. Im oberen Bereich des Bildes zeigt sie in schwarz-weiß den Teil des Hauses, den es nicht mehr gibt. Der untere Teil zeigt in Blutrot die Überreste des Hauses nach dessen Zerstörung. Durch die malerische Gegenüberstellung der beiden Zustände unternimmt sie den Versuch, die Absurdität und Brutalität des Krieges zu verstehen und nimmt malend Anteil.
Der Auslöser für ihre neue Werkreihe war für Magdalena Waller der Krieg in Syrien und das damit verbundene Thema, das uns momentan alle beschäftigt: die unzähligen Krisenherde auf der Welt, Krieg, Terror, Zerstörung, Flucht und damit verbunden der Verlust von Familie und Besitz. Dies symbolisiert sie - wie erwähnt - in der Arbeit before war, after peace. Nach diesem Schlüsselwerk der Werkreihe sowie einigen kleinformatigen Arbeiten der apocalyptic mapping wie der Arbeit post- truth szenario oder dem an Giottos Fresken in der Basilica di San Francesco in Assisi erinnernden Bild apocalyptic mapping (2), zu welchen sie von der Apokalypse des Johannesevangeliums inspiriert wurde, wendete sie sich hin zur Funktion des Hauses an sich, denn in unseren ungewissen Zeiten ist uns unsere häusliche Umgebung besonders wichtig, scheint sie doch Schutz zu bieten. Doch dieser Schein erweist sich nicht selten als trügerisch. Uns allen gemein ist die Angst, unser Zuhause, unseren Besitz, unsere Erinnerungsstücke zu verlieren.
Auffallend ist, dass einige der gezeigten Gebäude keine Türen zu haben scheinen, wie auf den Arbeiten elusive glow, castles are not safe oder cell house. Einerseits wird dadurch der Eindruck eines sicheren Schutzraumes verstärkt, andererseits wirken die Gebäude für den Betrachter wie eine mögliche Falle, aus der bei Gefahr kein Entkommen möglich scheint, was ein beklemmendes Gefühl auslöst.
Im Titel der Ausstellung don’t leave home thematisiert Magdalena Waller zwei essentielle, dem Menschen zugeschriebene Bewegungsrichtungen, „das Fortgehen in die Welt und das Heimkehren“, so die Künstlerin. Zwar gehen heute viele - insbesondere junge Menschen - bewusst und freiwillig von zuhause fort, wohl wissend, dass sie die Möglichkeit haben jederzeit zurückzukehren. Es gibt derzeit aber auch Millionen von - vorwiegend jungen - Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und - selbst wenn sie zurückkehren können - ihr ursprüngliches Zuhause mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr wiederfinden werden, was stets mit der Angst vor Verlust von Identität und Zugehörigkeit einhergeht. Und trotzdem ist es erstaunlich, dass der Großteil der Menschen die Fähigkeit besitzt, immer wieder von Neuem zu beginnen.
Neben den Bildinhalten sind im Werk Magdalena Wallers auch die Technik sowie die verwendeten Materialien von Bedeutung. Seit einem Studienaufenthalt in Japan nutzt sie neben der Ölmalerei oder dem Druckverfahren, wie Kartoffeldruck, eine selbst entwickelte Maltechnik, bei der sie Blattmetalle wie Gold, Silber und Kupfer mit Malerei kombiniert und auch oxidiert. Dieser alchemistische Prozess erzeugt ganz ungewöhnliche Effekte und bringt ihre Bilder zum Leuchten, wie an den gezeigten Arbeiten deutlich nachzuvollziehen ist.
Auch die verwendeten Farben bedürfen einer genauen Betrachtung. So verwendet sie für die Darstellung der Kriegsszenerie post- truth szenario, in der sie ein Bombardement zeigt, das einen Ort der Vernichtung und Tod zurücklassen wird, die Farbe Rosa, eine Farbe, die heute vorrangig Mädchen zugeordnet wird. Interessant ist dabei, dass das durch die Köpfe geisternde Hellblau-Rosa-Schema erst mit der Konsumkultur der 1950er Jahre entstand. Rosa war bis ins 18. Jahrhundert eher eine Farbe für Männer. Jungen wurden in Rot oder dem „kleinen Rot“, wie Rosa genannt wurde, gekleidet. Auch die Assoziation von Rot mit Blut, Krieg und Gewalt ließ die Farbe lange Zeit als für Männer prädestiniert gelten, weshalb es naheliegend ist, dass die Künstlerin für die Darstellung eines stets von Männern heraufbeschworenen Szenarios die Farbe Rosa wählt.
Blau hingegen wurde lange Zeit mit dem Mantel Marias, der Mutter Gottes, assoziiert, weshalb das „kleine Blau“, also Hellblau, eher als Mädchenfarbe galt. Erst mit der Französischen Revolution setzten sich in der Männerkleidung dunkle Farben durch, zarte Pastelltöne wurden nur noch von Frauen getragen.
Auch in den großformatigen Arbeiten wie castles are not safe, cell house oder truly mine verwendete Magdalena Waller vorrangig Pastelltöne, wodurch die Arbeiten - trotz des bedrückenden Themas - eine angenehme und weiche Ausstrahlung erhalten und so auf feinfühlige Art Heiteres und Brutales nebeneinandergestellt werden. Die gewählte Farbigkeit ist darüber hinaus ein Hinweis darauf, dass die Künstlerin selbst voller Hoffnung auf eine positive Veränderung in die Zukunft blickt.
zur Ausstellung don't leave home im Juli 2017
Die Künstlerin verfolgt auf der Suche nach neuen Formen der Malerei und zeitgenössischen Ausprägungen von Identität ihre Themen über einen längeren Zeitraum und arbeitet stets in Werkreihen wie XY_wir, [made in] oder family affairs.
In den Serien XY_wir und familiy affairs untersuchte Magdalena Waller malerisch die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Bruder bzw. zwischen ihr und ihrer gedachten männlichen Version. Durch Verdoppelung und Aufspaltung des klassischen Selbstporträts bilden sich überlappende Identitäten heraus und heben dadurch die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich auf.
Der Frage nach kultureller Identität ging die Künstlerin in ihrem Werkkomplex [made in] nach, in dem sie eine Reihe von Kleidungsstücken sowie Menschen beim Herstellen von Kleidung zeigte. Zu dieser Serie war sie durch die Berichte über die unmenschlichen Zustände in der Textilfertigungsindustrie in Bangladesch angeregt worden.
In den in der aktuellen Ausstellung don’t leave home gezeigten Arbeiten untersucht Magdalena Waller in einer Serie von Bildern, Papierarbeiten sowie einer Installation das Haus als archaisches Symbol der Identität, als den Ort, der - insbesondere in einer Welt voller Konflikte und Erschütterungen, in der der Humanismus gefährdet ist - Schutz bietet. Sie setzt sich mit dem Haus in seiner Funktion als den Menschen umgebende Hülle auseinander, die sie als dritte Haut bezeichnet.
Als dritte Haut erweitert das Haus ihre vorangegangenen Serien: der Porträts als erste Haut, der Kleider als zweiter Haut und eben das Haus als dritte Haut, denn das Haus besteht zum einen aus einer materiellen Hülle, aber auch aus einem immateriellen Netz von Zuschreibungen. Im Inneren des Hauses haben sich die Lebenswirklichkeiten und Erinnerungen der Bewohner eingeschrieben und an den Außenwänden hat die Geschichte ihre Spuren hinterlassen.
Für die Künstlerin die bereits über 40 Länder bereist hat, darunter 2008 Syrien noch zu Friedenszeiten, markiert die Arbeit before war, after peace den Beginn der neuen Werkreihe. In diesem Bild stellt sie eines der berühmten Stadthäuser in Aleppo in zwei Zuständen dar: vor dem Krieg und nach dem Frieden. Im oberen Bereich des Bildes zeigt sie in schwarz-weiß den Teil des Hauses, den es nicht mehr gibt. Der untere Teil zeigt in Blutrot die Überreste des Hauses nach dessen Zerstörung. Durch die malerische Gegenüberstellung der beiden Zustände unternimmt sie den Versuch, die Absurdität und Brutalität des Krieges zu verstehen und nimmt malend Anteil.
Der Auslöser für ihre neue Werkreihe war für Magdalena Waller der Krieg in Syrien und das damit verbundene Thema, das uns momentan alle beschäftigt: die unzähligen Krisenherde auf der Welt, Krieg, Terror, Zerstörung, Flucht und damit verbunden der Verlust von Familie und Besitz. Dies symbolisiert sie - wie erwähnt - in der Arbeit before war, after peace. Nach diesem Schlüsselwerk der Werkreihe sowie einigen kleinformatigen Arbeiten der apocalyptic mapping wie der Arbeit post- truth szenario oder dem an Giottos Fresken in der Basilica di San Francesco in Assisi erinnernden Bild apocalyptic mapping (2), zu welchen sie von der Apokalypse des Johannesevangeliums inspiriert wurde, wendete sie sich hin zur Funktion des Hauses an sich, denn in unseren ungewissen Zeiten ist uns unsere häusliche Umgebung besonders wichtig, scheint sie doch Schutz zu bieten. Doch dieser Schein erweist sich nicht selten als trügerisch. Uns allen gemein ist die Angst, unser Zuhause, unseren Besitz, unsere Erinnerungsstücke zu verlieren.
Auffallend ist, dass einige der gezeigten Gebäude keine Türen zu haben scheinen, wie auf den Arbeiten elusive glow, castles are not safe oder cell house. Einerseits wird dadurch der Eindruck eines sicheren Schutzraumes verstärkt, andererseits wirken die Gebäude für den Betrachter wie eine mögliche Falle, aus der bei Gefahr kein Entkommen möglich scheint, was ein beklemmendes Gefühl auslöst.
Im Titel der Ausstellung don’t leave home thematisiert Magdalena Waller zwei essentielle, dem Menschen zugeschriebene Bewegungsrichtungen, „das Fortgehen in die Welt und das Heimkehren“, so die Künstlerin. Zwar gehen heute viele - insbesondere junge Menschen - bewusst und freiwillig von zuhause fort, wohl wissend, dass sie die Möglichkeit haben jederzeit zurückzukehren. Es gibt derzeit aber auch Millionen von - vorwiegend jungen - Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und - selbst wenn sie zurückkehren können - ihr ursprüngliches Zuhause mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr wiederfinden werden, was stets mit der Angst vor Verlust von Identität und Zugehörigkeit einhergeht. Und trotzdem ist es erstaunlich, dass der Großteil der Menschen die Fähigkeit besitzt, immer wieder von Neuem zu beginnen.
Neben den Bildinhalten sind im Werk Magdalena Wallers auch die Technik sowie die verwendeten Materialien von Bedeutung. Seit einem Studienaufenthalt in Japan nutzt sie neben der Ölmalerei oder dem Druckverfahren, wie Kartoffeldruck, eine selbst entwickelte Maltechnik, bei der sie Blattmetalle wie Gold, Silber und Kupfer mit Malerei kombiniert und auch oxidiert. Dieser alchemistische Prozess erzeugt ganz ungewöhnliche Effekte und bringt ihre Bilder zum Leuchten, wie an den gezeigten Arbeiten deutlich nachzuvollziehen ist.
Auch die verwendeten Farben bedürfen einer genauen Betrachtung. So verwendet sie für die Darstellung der Kriegsszenerie post- truth szenario, in der sie ein Bombardement zeigt, das einen Ort der Vernichtung und Tod zurücklassen wird, die Farbe Rosa, eine Farbe, die heute vorrangig Mädchen zugeordnet wird. Interessant ist dabei, dass das durch die Köpfe geisternde Hellblau-Rosa-Schema erst mit der Konsumkultur der 1950er Jahre entstand. Rosa war bis ins 18. Jahrhundert eher eine Farbe für Männer. Jungen wurden in Rot oder dem „kleinen Rot“, wie Rosa genannt wurde, gekleidet. Auch die Assoziation von Rot mit Blut, Krieg und Gewalt ließ die Farbe lange Zeit als für Männer prädestiniert gelten, weshalb es naheliegend ist, dass die Künstlerin für die Darstellung eines stets von Männern heraufbeschworenen Szenarios die Farbe Rosa wählt.
Blau hingegen wurde lange Zeit mit dem Mantel Marias, der Mutter Gottes, assoziiert, weshalb das „kleine Blau“, also Hellblau, eher als Mädchenfarbe galt. Erst mit der Französischen Revolution setzten sich in der Männerkleidung dunkle Farben durch, zarte Pastelltöne wurden nur noch von Frauen getragen.
Auch in den großformatigen Arbeiten wie castles are not safe, cell house oder truly mine verwendete Magdalena Waller vorrangig Pastelltöne, wodurch die Arbeiten - trotz des bedrückenden Themas - eine angenehme und weiche Ausstrahlung erhalten und so auf feinfühlige Art Heiteres und Brutales nebeneinandergestellt werden. Die gewählte Farbigkeit ist darüber hinaus ein Hinweis darauf, dass die Künstlerin selbst voller Hoffnung auf eine positive Veränderung in die Zukunft blickt.